Paul Wernicke über den Wolf und unsere Beziehung zu ihm Interview mit dem Inhaber der Wildnisschule Hoher Fläming
Eva Loth: Wann hast du das erste Mal Wölfe in der Region bemerkt?
Paul Wernicke: Das erste offiziell bestätigte Rudel bei uns in der Region gab es 2009 am Truppenübungsplatz Altengrabow. Ich selber bin etwa 2011 auf die Idee gekommen, dass es hier Wölfe gibt, und hab mich auf den Weg gemacht, um nach deren Spuren zu suchen.
Eva Loth: Wie siehst du den Wolf in der Gemeinschaft der Tiere?
Paul Wernicke: Der Wolf spielt eine wichtige Rolle in der Gemeinschaft der Tiere. Als Top-Prädator steht er an der Spitze der Nahrungskette und sorgt als Gesundheitspolizei für die gute Gesundheit der verschiedenen Arten. Er hat eine natürliche Neigung dazu, kranke, alte und junge Tiere zu jagen, was dazu führt, dass die gesunden und starken Tiere überleben und sich fortpflanzen können. Dies trägt zur Aufrechterhaltung einer gesunden Population bei, was durch zahlreiche Studien belegt ist.
Eva Loth: Und das Verhältnis Wolf – Mensch?
Paul Wernicke: Die Beziehung des Menschen zum Wolf in der Gemeinschaft ist sehr unterschiedlich zu betrachten. Wenn wir weit in die Vergangenheit zurückblicken, haben wir mit dem Wolf zusammengearbeitet und ihn sogar domestiziert. Unsere Hunde stammen von Wölfen ab, und gemeinsam haben wir mit ihnen gejagt. Seitdem wir Nutztiere halten und sesshaft geworden sind, wurde der Wolf jedoch manchmal zu einem Konkurrenten. Als Beutegreifer nutzt er jede Gelegenheit. Wenn wir unsere Nutztiere nicht ausreichend schützen, werden diese zur Beute. Besonders in unserer heutigen Zeit und in dicht besiedelten Regionen wie Brandenburg birgt die Nähe eines so großen Raubtieres viele Konflikte und wirft viele Fragen auf. Wir Menschen müssen umdenken und uns anders verhalten als ohne die Anwesenheit eines großen Prädators.
Eva Loth: Welche Risiken siehst du?
Paul Wernicke: Wenn man sich die Statistiken der letzten 50 bis 60 Jahre weltweit ansieht, gibt es kaum ernst zu nehmende Übergriffe von Wölfen auf Menschen. Die meisten Vorfälle resultieren aus unsachgemäßem Verhalten oder Fahrlässigkeit im Umgang mit unseren Nutztieren oder in bestimmten Situationen, wenn man mit einem Hund auf Wölfe trifft. Wenn jedoch bestimmte Verhaltensregeln eingehalten werden, sind die Risiken für Zwischenfälle äußerst gering und führen selten zu Verletzungen oder lebensbedrohlichen Situationen für den Menschen. Es gibt mittlerweile gute Belege dafür, dass Wölfe uns eher aus dem Weg gehen. Daher kann man sagen, dass es keine Risiken gibt, außer wenn wir uns durch unser eigenes Fehlverhalten in angsteinflößende Situationen bringen.
Eva Loth: Wie verliefen deine eigenen Begegnungen mit den Wölfen?
Paul Wernicke: Ich selbst habe bereits viele Begegnungen mit Wölfen gehabt. Es sind mittlerweile so viele, dass ich sie nicht mehr an zwei Händen abzählen kann. Keine einzige Begegnung war besorgniserregend. Es war immer ein beeindruckendes Erlebnis. Wölfe haben etwas Zielgerichtetes und fast Geisterhaftes, wenn sie schnell durch die Landschaft laufen. Ihr stetiger Trab von etwa 10 bis 12 km pro Stunde vermittelt eine gewisse Rastlosigkeit und gleichzeitig Eleganz. Jede Begegnung war prägend, aber nie beängstigend oder besorgniserregend.
Eva Loht: Siehst du auch Chancen für uns?
Paul Wernicke: Die Anwesenheit von Wölfen bietet uns die Möglichkeit, unseren Bezug zur Natur neu zu überdenken. Sind wir alleinige Herrscher in unserer Kulturlandschaft oder können wir anderen großen Tieren wieder Lebensraum bieten, den wir ihnen vor langer Zeit genommen haben? Vor etwa 170 Jahren wurden die letzten Wölfe hier offiziell geschossen und ausgerottet. Seit über 20 Jahren siedeln sich nun wieder Wölfe an und stellen uns vor die Frage, ob wir in der Lage sind umzudenken und Lebensräume zu schaffen, in denen wir koexistieren können. Diese Frage ist natürlich nicht einfach zu beantworten, aber ich sehe es als Vorteil an, unseren Bezug zur Natur durch ihre Anwesenheit neu zu überdenken.
Eva Loth: Wie sollte man sich bei einer Begegnung verhalten, auch mit Hund?
Paul Wernicke: Wenn ich bemerke, dass ein Wolf vor mir ist, sollte ich mich als Mensch zu erkennen geben. Das bedeutet, mit ihm zu sprechen oder mich groß zu machen, indem ich aufrecht stehe. Es ist wichtig, den Blickkontakt zu vermeiden und nicht direkt in die Hände zu klatschen. Stattdessen sollte man einfach auf sich aufmerksam machen. Wenn man einen Hund dabei hat, sollte dieser unbedingt an der Leine sein. Während der Paarungszeit empfiehlt es sich sowieso, Hunde an der Leine zu lassen, da man nicht weiß, wie der Konkurrenzdruck in einem Wolfsrevier ist oder wie das Paarungsverhalten aussieht. Möglicherweise wird der eigene Hund mit einem potenzieller Partner verwechselt.
Der Mensch ist der sicherste Schutz für den Hund. Danach sollte man sich aus der Situation entfernen, indem man langsam zurückgeht. Man sollte vermeiden, laut und panisch zu schreien oder hektische Bewegungen zu machen, da dies in das Beuteschema der Wölfe passt. Hektische Bewegungen könnten den Wolf eher dazu animieren, hinterherzulaufen. Es ist besser, sich ruhig und bedacht aus der Situation zu entfernen. Selbst wenn der Wolf auf 40 bis 50 Meter Abstand bleibt, kann es immer noch beängstigend sein. Aber das ist ein normales Verhalten, besonders in der Zeit von Oktober bis Februar, wenn die jungen Wölfe ihr Revier verlassen und neugierig die Welt entdecken. Es ist nicht umsonst das erste Tier, das wir domestiziert haben, aufgrund des Neugierverhaltens dieser Tiere, die sich den Lagern unserer Vorfahren angeschlichen haben, in der Hoffnung auf leicht zugängliche Nahrung.
Selbst wenn ein Wolf einem hinterherläuft, ist es eher ein Interesse als der Wunsch, uns zu fressen. Es handelt sich um eine Art gegenseitige Interessensbekundung und keinesfalls um eine Bedrohung.
Mit einer Ausnahme: Der Wolf hat in seinem Leben bereits gelernt, dass er von Menschen Nahrung erhalten kann. Daher denkt er, dass er auch von uns etwas zu fressen bekommen könnte. Das Fehlverhalten der Menschen ist also die Ursache für das merkwürdige Verhalten des Wolfs bei Begegnungen. Dies sollten wir im Hinterkopf behalten.
Eva Loth: Was bringt die Zukunft für den Wolf?
Paul Wernicke: Diese Frage kann ich noch nicht beantworten. Im Moment scheint sich die Situation zuzuspitzen, da immer mehr Rufe nach Abschüssen oder der Aufnahme des Wolfs ins Jagdgesetz laut werden. Die Angst und das Feindbild des Wolfs nehmen in der Öffentlichkeit zu, vor allem aufgrund der steigenden Anzahl an Tieren.
Die Zukunft des Wolfs hängt stark von unserer Fähigkeit ab, uns mit dieser neuen Situation abzufinden und uns anzupassen. Wir müssen Zugeständnisse machen, um unsere Tiere besser zu schützen und uns im Wald achtsamer zu bewegen. Wir müssen genau darauf achten, in welcher Jahreszeit wir uns im Wald befinden und worauf wir achten müssen. Es bedarf einer neuen Bildungsoffensive. Wie können wir in einer Gegend leben, in der es große Raubtiere gibt, so wie in vielen anderen Teilen der Welt, in denen der Wolf nie ausgestorben war? Dort haben die Menschen nie verlernt, mit großen Beutegreifern umzugehen. Es liegt an uns, eine Lösung zu finden und eine harmonische Koexistenz mit dem Wolf zu ermöglichen.
Eva Loth: Wie stehst du zum Abschuss von Wölfen?
Paul Wernicke: Meiner Meinung nach sollte der Abschuss von Wölfen mit Vorsicht betrachtet werden. Das oft zitierte schwedische Modell, das Obergrenzen für die Population festlegt, halte ich für problematisch. Es ist äußerst schwierig festzustellen, wie viele Tiere es tatsächlich gibt. Wie soll man dann genau festlegen, wie viele Tiere geschossen werden sollen? Wenn wir beispielsweise den Alpha-Rüden und die Alpha-Weibchen eines Rudels abschießen, besteht die Gefahr, dass wir mehr Unordnung verursachen. Diese etablierten Tiere kennen ihr Revier und ziehen dort ihre Jungen auf. Wenn sie abgeschossen werden, machen wir Platz für neue junge Tiere, die sich erst einmal zurechtfinden müssen. Dies führt oft zu mehr Chaos als zu Ordnung.
Ein weiteres Problem ist, dass Wölfe lernen können, Zäune zu überwinden oder ungeeignete Zäune zu erkennen. Einmal erlerntes Verhalten geben sie an ihre Rudelmitglieder weiter. Dadurch entstehen sogenannte Problemrudel oder Problemtiere, die definitiv entfernt werden müssen, da dies nicht dem normalen Verhalten von Wölfen entspricht.
Es ist wichtig zu beachten, dass Nutztiere nur einen geringen Anteil von etwa zwei Prozent der Ernährung eines Wolfes ausmachen. Der Großteil ihrer Nahrung besteht aus Wildtieren. Wenn es weniger Wildtiere gibt, würde dies unserem Wald zugutekommen, da wir eine übermäßige Belastung durch Wildtiere haben. In ärmeren Regionen gibt es weniger Wildtiere, da die Reviere der Wölfe größer sind und sich nach dem Nahrungsangebot richten.
Insgesamt sollten wir den Abschuss von Wölfen mit Bedacht betrachten und alternative Lösungen in Betracht ziehen, um ein Gleichgewicht zwischen Mensch und Tier zu finden. Es ist wichtig, die Auswirkungen auf das Ökosystem und die langfristigen Folgen zu berücksichtigen, bevor wir solche Entscheidungen treffen.
Wichtig dazu zu wissen ist, der Wolf wird nicht als Problemwolf geboren, sondern er wird durch Fehlverhalten des Menschen zum Problemwolf gemacht. Die sollten entnommen werden, um den anderen Tieren auch die Möglichkeit zu geben, mit uns friedlich zusammenzuleben.
Also bin ich nicht grundsätzlich gegen Abschüsse, nur gegen eine Regulation der Population durch Abschüsse. Da bin ich vehement dagegen, weil das inzwischen meines Erachtens hieb- und stichfest erwiesen ist, dass das wenig bringt. Ich wünsche mir auf jeden Fall für die Zukunft ein generelles Einlenken in Bezug auf die Natur, vor allem in Bezug auf die Aspekte von Natur, die uns stören, die uns Angst machen, die uns eigenen „Lebensraum“ scheinbar nehmen, weil Biodiversität und Artenvielfalt so wichtig wie noch nie sind – in Zeiten des Klimawandels.
Das hat es immer gegeben auf diesem Planeten und es hat nicht funktioniert, wenn wir Menschen eingegriffen haben. Wenn wir ein Problem beseitigt haben, haben wir zehn neue geschaffen. Also wir müssen irgendwie zu einer guten Lösung für alle kommen.